Aus der Reihe
Walter und wie Er die Welt sah...

Depressionen in Erwartung von K.

Von Jürgen Behrndt.

Copyright 1992

Teil 1

Montag:

Ich fühle mich nicht so gut heute morgen...
Ich beschließe, die telefonische "Psychologische Beratungsstelle" in Dortmund anzurufen, um mir vor Ort einen qualifizierten Psychologen empfehlen zu lassen.

Eine sympathische professionell anmutende Frauenstimme kommt sofort zu Sache:

"Was fehlt Ihnen denn genau?"
"Tja, wie soll ich Ihnen sagen.."
Tastaturgeklapper auf der anderen Seite.
"Wo wohnen sie?"
"In Bielefeld."
Wieder Tastaturgeklapper auf der anderen Seite, diesmal nur 2 Anschläge, sie hat wohl das Kürzel BI benutzt.
Eine Art On-Board Computerstimme säuselt, wohl nicht für mich bestimmt: "Unzulässige Eingabe", und sie muß den ganzen Stadtnamen eingeben.
"Erster Buchstabe ihres Nachnamens"
"D"

So, jetzt endlich taucht anscheinend das Hauptmenu "Psycho" auf dem Computerbildschirm bei der Dame auf der anderen Seite der Strippe auf.
"Einen Moment..."
Eine Warteschlangenmelodie soll einen wohl auf andere Gedanken bringen:
"Always look on the bright side of life, ta dum ta dum"
Unterbrochen von automatische Ansagen einer offenbar sehr müden älteren Witwe:
"Wir sind gleich für Sie da, in dringenden Notfällen wenden Sie sich an die örtliche Telefonseelsorge..."

Nach 3 Minuten etwa: leises Fluchen.
"Entschuldigen Sie noch mal ich hab vergessen von Digital auf Monogam umzustellen.."

"Also was fehlt Ihnen noch mal, Probleme mit:"
Sie holte tief Luft und rasselt routiniert, als würde ich eine Pizza bestellen und keine Speisekarte haben, eine Art Leidensliste herunter:
"Arbeitslosigkeit, Familie, Erziehung, Partnerschaft, Beruf, Schule, Frust, Sexualität, Stress, Drogen, Krankheit, Behinderung, Verzweiflung, Liebeskummer, Eltern und Verwandte, Ausweglosigkeit, Einsamkeit, Scheidung, Depressionen, Angst, aggressives Verhalten..."

Ich unterbreche nur ungern:
"Wie war das noch mal im Mittelteil.."
"Was?"
Zwischen Angst und Scheidung"
"Moment..."
Sie war schon zum nächsten Untermenu gegangen, wahrscheinlich "frühere Therapieversuche" und muß das System neu hochfahren.
"Always look.."
...
"Also Depressionen? "
"Ja doch!"
Sie zögert...
"Oder doch eher aggressives Verhalten?"
"Wie kommen sie denn darauf?"
Erwidere ich nicht ohne scharfen Unterton.

Diese Art Telefonjobs sind ja auch nicht leicht, ich schwinge wieder auf Depri um und klinge wahrscheinlich wie kurz vor dem Abnippeln..
"Können Sie mir helfen, ...Bitte"
"So gefallen Sie mir schon besser!" das ist ihr voller Ernst

Noch einmal: "Depri, Bi, D ist das richtig" ich seufze jaaa..
"Haben sie früher schon einmal .."
"Nein"
"Kinderkrankheiten?"
"Nein"
Das ist gelogen aber ich habe einfach keinen Bock mehr.
"Geboren?"
"Ja"
"Warum ..."
Ich traurig: "weiß nicht"
"Sie meinen Sie wissen nicht warum sie hier anrufen?"
Fragt sie, so als hätte ich gerade gesagt, ich wäre vom Mars.
"Nein, ich weiß nicht warum ich geboren wurde, Sie?", gebe ich zurück.
"Das spielt kein Rolle"
"Doch das würde mich grade interessieren." meine ich ehrlich bemüht und wieder freundlicher.
"Also, ich will mich nicht mit Ihnen streiten", sie wird wieder kurz angebunden, ich muß die Taktik ändern.
"Warum nicht, vielleicht verbessert das Ihre Laune.." will ich sie wieder gütlich stimmen.
"Meine Laune ist völlig in Ordnung, Herr, Herr,...", sie suchte etwas, Tastaturgeklapper...
"Müller" sage ich, nur um ihr zu helfen.

"Unzulässige Eingabe" piep..
Aber sie sagten doch ihr Nachname finge mit "G" an
"Nein D"
"Wollen sie mich verarschen?"
"Du kannst ruhig Du zu mir sagen, ich heiße Jens, und Du?"

Klick..
Sie hat einfach aufgelegt...
Meine Laune ist wieder OK , die Psychologische Notseelsorge hilft mir eben einfach immer.

ENDE